Hessische Landjugend e.V.

Presse

JUT beleuchtet Handlungs-Optionen

Sowohl Weltmarkt als auch Regionalmarkt beackern. Unter dem Leitthema „Um die Ecke oder in der ganzen Welt – Welche Vermarktungswege gibt es?“ stand der diesjährige Jungunternehmertag.

Yannick Nagel vom Maschinenring Wetterau beleuchtete in seinem Vortrag „Um die Ecke“ Chancen des Regionalmarktes, Reinhard Stieglitz, ehemaliger Geschäftsführer der Raiffeisen Waren GmbH Kurhessen-Thüringen, die Situation und Chancen auf dem Weltmarkt.

Den Vorträgen einschließlich Powerpoint-Präsentationen folgten Grußworte der Mitveranstalter und Diskussionsbeiträge der 27 Teilnehmer während der Corona-bedingt online stattfindenden Veranstaltung.

Vermarktung endet nicht am Hoftor. In seinem Grußwort freute sich HBV-Präsident Karsten Schmal auf die Vorträge mit anschließender Diskussion. Er betonte, dass die Vermarktung nicht am Hoftor ende, sondern zum Unternehmersein dazugehöre. Angesichts der Pandemie seien viele Menschen in Deutschland froh darüber, dass sie sich auf die heimischen Landwirte verlassen könnten.

Jens Bermbach von den Ehemaligen stufte das Thema als gut und richtig ein, obwohl die regionale Vermarktung schwieriger geworden sei, weil die Anzahl möglicher Partner wie Bäcker und Metzger ständig weiter sinke.

Lukas Rausch, stellvertretender Agrarsprecher der Landjugend, bezeichnete die Direktvermarktung nach einem kurz zuvor mit Ministerin Priska Hinz geführten Gespräch als „heiße Geschichte“, die in der Politik diskutiert werde. Allerdings habe der Lebensmitteleinzelhandel beim Gros der Erzeugnisse die Oberhand bei der Preisgestaltung.

Regionaler Dinkel – Anbau und Vermarktung angepackt. Beispielhaft über den erfolgreichen Einstieg in regionalen Anbau und Vermarktung von Dinkel berichtete Yannick Nagel vom Maschinenring Wetterau (MR). Die MR-Tochter Wetterauer Agrar Service (WAS) als Dienstleister für die Mitglieder habe den Schritt in den Vertragsanbau von Dinkel (nach Weizen und Raps) zum einen gemacht, um die Mitgliederbindung zu kräftigen. Zum anderen ging es darum, vor dem Hintergrund der Düngeverordnung mit der Ausweisung von Roten Gebieten neue Kulturen in die Fruchtfolge einzuführen, die mit weniger Stickstoff zurecht kommen, aber dennoch einen ansehnlichen Deckungsbeitrag erzielen können.  In seinem Betrieb zu Hause in Nidda-Geiß-Nidda ist er diesen Schritt ganz persönlich mitgegangen.

Zunächst zwei Abnehmer aufgetan.Nachdem zwei Abnehmer aus dem Raum Würzburg beziehungsweise Nordhessen gefunden waren, ist laut Nagel 2019 der Einstieg mit 29 Mitgliedern und 230 ha Anbaufläche gelungen. Dabei hat sich die WAS auf die Fahnen geschrieben, den Anbau von der Saat bis zur Ernte beratend zu begleiten. Sie hat  sich für die Urform entschieden und das Saatgut zentral besorgt. Die Ernteergebnisse waren alles in allem ermutigend. Bei einem Ertrag von durchschnittlich 71 dt/ha (erwartet worden waren 68 bis 71) bei einer Fallzahl von 250 und einem Proteingehalt von 13 Prozent und damit backfähig. Die Erwartungen wurde übertroffen Der N-Aufwand lag bei 120 kg/ha. Es wurde ein Deckungsbeitrag von 628 Euro/ha erreicht im Vergleich zu Weizen mit 501 Euro/ha.

Chance für Saatguterzeuger. Die Besonderheiten des Dinkelanbaus sprach Nagel ebenfalls an. So ist die Beschaffung von qualitativ hochwertigem Saatgut nicht einfach. Das Saatgut ist teuer und wird nur von wenigen Betrieben vermehrt. Die schonende Saatgutbehandlung ist sehr wichtig, da sich heterogenes Vesen-Saatgut sonst beim Säen entmischen kann. „Gibt es hier in der Runde Saatgut-Profis“, fragte Nagel spontan. „Es könnte sich lohnen.“

„Wir können regionale Produktion“

Das Volumen der Vesen ist doppelt so groß wie bei den Weizen-Einzelkörnern, sodass auch die Transport- und Lagerkapazität doppelt so hoch ausgelegt sein müssten. Mittlerweile gebe es auch seitens einiger Landhändler Interesse an regional erzeugtem Dinkel. Aber das sei eine Gratwanderung. Die Menge müsse marktverträglich bleiben und dürfe auf keinen Fall überreizt werden.

Nach dem erfolgreichen Einstieg im vergangenen Jahr zieht Nagel den Schluss: „Wir können regionale Produktion.“

Brot, Stollen und Vollkorn-nudeln aus Emmermehl. Beim Anpacken neuer Themen ist Nagel sehr umtriebig und engagiert. Gemeinsam mit seinem etwa gleichaltrigen Kumpel Jonas Wagner, Bäckermeister in Geiß-Nidda, hat er vor wenigen Jahren Anbau, Be- und Verarbeitung der Weizen-Urform Emmer in Angriff genommen. Heute hat Wagner erfolgreich Brot, Stollen und Vollkornnudeln aus Emmermehl im Angebot und vermarktet diese mit den Standard-Erzeugnissen in der Region. Der Anbau ist laut Nagel recht einfach. Eine Stickstoffgabe von 40 bis 50 kg/ha reiche aus. Wachstumsregler sind dringend empfehlenswert, weil Emmer etwa doppelt so hoch wächst wie Weizen. Herbizide gibt es allerdings nur mit Sondergenehmigung. Der Fungizid-Einsatz ist geringer, allerdings gegen Gelbrost erforderlich.

Nicht ganz einfach: Partner für Verarbeitung finden

Im ersten Anbaujahr lag der Ertrag bei 58 dt/ha, im zweiten bei 45 dt/ha bei einem Anbauumfang von 0,5 bis 1,0 ha, was aber immerhin rund 2 700 bis 3 000 Brote ergibt.

Schwierigkeiten gab es an zwei Stellen. Die Weiterverarbeitung (entspelzen und mahlen) gestaltete sich etwas schwierig. Entspelzungsanlagen kosten rund 30 000 Euro und  sind nicht so häufig vorhanden. Viele Mühlen sträuben sich bei solch geringen Mengen. „Das ist ja nur eine Spülcharge“, bekam Nagel zu hören.

Für die Vermarktung zeigte sich, dass Emmer-Produkte unglaublich stark erklärt und beworben werden müssen. Mit Hilfe von Facebook und Instagram machten sich die Freunde ans Werk, setzten alles ausführlich ins Bild, vom Anbau über die Verarbeitung bis hin zu den Produkten. Sein Fazit für die Teilnehmer des Jungunternehmertages: Ihr müsst zeigen und erklären, was ihr macht. Und ihr müsst diese Transparenz dauerhaft aufrecht erhalten.

Positive Rückmeldung von den Nachbarn im Dorf. Das Emmer-Projekt hat den beiden Freunden eine ganz neue, unerwartete Erfahrung vermittelt. Die Rückmeldungen aus dem Dorf waren überraschend ermutigend. „Wir hätten gar nicht gedacht, dass ihr euch an sowas Neues rantraut; alle Achtung“, sei der Tenor gewesen. Und sehr positiv sei dabei die Entwicklung, dass die Nachbarn mit den wenigen im Dorf verbliebenen Landwirten oder dem Bäcker wieder mal persönlich ins Gespräch gekommen seien.

Sympathie für Regionalität an Ladenkasse nicht bestätigt. Regionale Vermarktung und Vermarktung am Weltmarkt ist für Reinhard Stieglitz kein Widerspruch. Das müsse man ganz nüchtern und ohne Dogma betrachten. Ein Patentrezept gebe es ohnehin nicht. „In Zukunft brauchen wir beides“, so seine Überzeugung. Er wies darauf hin, dass Regionalität zwar in aller Munde sei, die seit Jahren bei drei Mrd. Euro stagnierenden Umsätze bei der Direktvermarktung aber zeigten, dass viele Verbraucher ihrer bei Umfragen geäußerten Einschätzung letztlich keine Taten folgen ließen. „Daran muss gezielt gearbeitet werden“, so seine Schlussfolgerung.

Große Dynamik bei der Nahrungsmittel-Erzeugung.  Beim Blick auf den Globus dürfe man sich nicht von Entfernungen in Kilometern blenden lassen. Entscheidend seien die Transportkosten. Der Transport von Soja oder Getreide von der Ostküste der USA oder Brasiliens nach Rotterdam sei billiger als der von Rotterdam mit Binnenschiffen nach Hanau und dieser wiederum billiger als der Transport von Hanau per Lkw nach Alsfeld. „Die Welt ist also ganz nah beieinander und das gilt es zu berücksichtigen“, so Stieglitz. Australien (Getreide) und Neuseeland (Milch) lägen um die Ecke.

Falsche Propheten liegen daneben: Erzeugung wächst

Die Dynamik der Nahrungsmittelerzeugung weltweit sei sehr groß. Während heute bei einer Weltbevölkerung von 7,6 Mrd. Menschen knapp eine Mrd. davon hungerten, steige die Weltbevölkerung bis 2050 auf knapp 10 Mrd. an, während die landwirtschaftliche Nutzfläche pro Kopf von 2 000  auf 1 500 m² absinke. Am Themenkomplex Agrar, Ernährung, Klima werde stark gearbeitet werden müssen. „Bisher hat die Erzeugung mit dem Bevölkerungswachstum mitgehalten und das wird sie auch in Zukunft“, ist Stieglitz dennoch überzeugt.

Gutes Standing auf dem Weltmarkt. Die Kurve werde entgegen der Aussagen falscher Propheten weiter nach oben gehen. Deutschland mit seiner Ernährungsindustrie sei mitten in der Welt, im internationalen Geschäft dabei. Anders als bei Autos seien die Importe mit 85 Mrd. Euro jährlich größer als die Exporte mit 72 Mrd. Euro. Eine Exportquote von 33 Prozent zeige, dass deutsche Erzeugnisse ein gutes Standing auf dem Weltmarkt hätten, mit steigender Tendenz.

In der EU spielt die Musik. Dies gelte es zu nutzen. Sowohl bei den Im- als auch bei den Exporten belege Deutschland weltweit jeweils den dritten Platz,  nach USA und China (Importe) oder USA und den Niederlanden (Exporte). „In der öffentlichen Diskussion stellt die deutsche Ernährungswirtschaft ihr Licht unter den Scheffel“, so Stieglitz Eindruck. Die Landwirtschaft müsse mitmachen, ihre Chancen auch im Export sehen.

Die Musik für Deutschlands Produkte spiele derzeit in der EU der 28 mit einem Anteil von 78,2 Prozent der Exportanteile; Europa insgesamt liege bei 85,1 Prozent. Der Rest (Asien 8,1 Prozent, Afrika 1,7 und Amerika 4) biete ein großes Entwicklungspotenzial.

An den Selbstversogungsgraden (Schweinefleisch 120 Prozent) könne man ablesen, dass sich die Landwirtschaft längst darauf eingestellt hat. Aber damit wachse auch die Abhängigkeit von großen Importeuren. „Wenn China wegen der ASP die Importe stoppt, dann knallt es mit Wucht weltweit, was wir derzeit erleben“, so Stieglitz.

Rücklagenbildung zwingend erforderlich. Deshalb gehöre die ausreichende Bildung von einzelbetrieblichen Rücklagen für solche Situationen am Weltmarkt unbedingt dazu. Im Segment Milch seien europäische und auch deutsche Käseerzeugnisse weltweit gefragt, weil sie mit hervorragenden, nicht austauschbaren Qualitäten verbunden würden. Leider rangierten die größten deutschen Molkereien weltweit erst auf den Plätzen 10 und 11, weit hinter Konzernen vor allem aus den europäischen Nachbarländern. Die Ausschläge am Milchmarkt würden immer heftiger mit längeren Tälern und kürzeren, aber auch immer höheren Spitzen.

Landwirtschaft wird stärker gebraucht. „In dem Viereck steigende Weltbevölkerung, Klimawandel, nachhaltige Enerieversorgung und Umwelt- und Ressourcenschutz wird die Landwirtschaft zunehmend stärker gebraucht“, schlussfolgerte Stieglitz.

Erklären sie ihr Tun und Lassen. „Nehmen sie vor allem die Menschen mit. Erklären sie, was sie in einer weltoffenen Situation mit ihren Erzeugnissen auf den Weltmärkten bewegen. Was deutsche Auto- und Maschinenbauer können, das können deutsche Landwirte auch“, ermunterte Stieglitz die Jungunternehmer zu einer selbstbewussteren Öffentlichkeitsarbeit. 

„Wenn Corona im kommenden Jahr vorbei ist, schauen sie sich in der Welt um. Gehen sie in jungen Jahren auf Reisen. Belegen sie Auslandssemester. Lernen sie verstehen, wie die Welt denkt und wie sie tickt“, legte Stieglitz den Jungunternehmern eindringlich ans Herz.

Die Landwirte hätten einen der schönsten Berufe gewählt. Erfolgreich am Markt agieren sei kein Buch mit sieben Siegeln. Das könne man lernen.    

Foto: Hessische Landjugend

Text: Reinhard Stieglitz

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